Das letzte Jahr

Contentwarning: Dieser Artikel umfasst die folgenden Themen: Depression, Suizidgedanken, Tod

Ein Jahr.

Ein Jahr ist es schon wieder her, seit ich zuletzt etwas hier geschrieben habe. Nicht zum ersten Mal. Und trotzdem besuchen immer noch immer wieder Menschen diese Seite und lesen, was ich so schreibe. Vielen Dank dafür!

Ein Wort der Warnung: Die Contentwarnings beschreiben ja schon, worum es grob gehen wird, aber ich möchte noch einmal betonen, dass ich auf viele Aspekte der genannten Themen sehr offen eingehen werde. Ich weiß, dass das für einige Menschen sehr anstrengend sein kann.

Wer mir auf Twitter folgt, weiß, dass 2016 für mich ein anstrengendes Jahr war. Ich würde gern vorne anfangen, aber ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr so genau, was überhaupt in der ersten Jahreshälfte passiert ist. Um es mit einem Bild zu beschreiben: Stellt euch einen bewölkten Himmel im Winter vor. Keine weißen, flauschigen Fluff-Wolken, keine bedrohlich schwarzen Gewitterwolken, sondern ein grau in grau in grau, soweit das Auge sieht.

Mit etwas mehr ernst und dafür weniger Melodramatik: Rückblickend kann ich kaum noch einzelne Tage benennen, an denen besondere Dinge passierten. Es war ein trostloser Alltag, höchstens von Tagen unterbrochen, an denen es mir schlechter ging als sonst.

Irgendwann fing ich an, eben diese Tage zu protokollieren, legte eine Art Stimmungstagebuch an. Als ich damit anfing, stellte ich fest, dass diese schlechten Tage fast exakt alle zwei Wochen vorkamen. Das hielt sich jedoch nur vielleicht zwei Monate, bevor die schlechten Tage immer weiter aneinander heran rückten.

Als im Juni und Juli dann auch noch Unistress und Schwierigkeiten in der Liebe dazu kamen, verzweifelte ich ziemlich. Ich musste jede wache Minute an zwei Abgaben arbeiten, deren Deadlines innerhalb weniger Tage lagen und konnte mich von meiner Freizeit verabschieden.

Als der Stress hinter mir lag, war ich erst froh, wieder durchatmen zu können. Ich hatte in der Zeit mehrere emotionale Zusammenbrüche und ging davon aus, dass jetzt alles besser werden würde. Wurde es nicht, ganz im Gegenteil.

In meinem Leben breitete sich in der Zeit eine Leere aus. Ich zog mich aus Allem zurück, mit dem Gedanken, dass ich etwas Erholung und Entspannung brauchte. Ich fand aber nicht zurück. In der Zeit brachen alle meinen sozialen Kontakte ein – meine regelmäßige Rollenspielrunde pausierte über die Vorlesungsfreie Zeit, zu anderen Aktivitäten wurde ich kaum eingeladen und hatte auch nicht die Löffel, selbst Initiative zu ergreifen und mich mit Freunden zu treffen. Es war ein Teufelskreis. Ohne soziale Kontakte fiel es mir immer schwerer, Kontakt zu Leuten aufzubauen, was zu noch weniger Kontakt führte. Kurzum: Ich isolierte mich.

Die Isolation begann die Depression zu begünstigen und umgekehrt. Ich kämpfte nicht nur mit den üblichen Selbstzweifeln, die ich fast immer habe, sondern glaubte ihnen, war mir sicher, ich sei unbedeutsam und unwichtig. Natürlich machte das es noch schwerer, wieder aus meinem Loch raus zu kommen.

Dass ich damals noch nicht begriff, warum es mir schlechter und schlechter ging, dass ich nicht verstand, dass ich mich isolierte und mir das nicht gut tat, sorgte dafür, dass ich aus eigener Kraft einfach keinen Ausweg sah.

Anfang August setzte ich mir aus Verzweiflung ein Ultimatium. An jenem Tag kämpfte ich mit schlimmen Suizidgedanken, nicht zum ersten Mal in dieser Zeit, und entschied, dass sich dringend etwas ändern müsse – oder mein Leben wirklich keinen Sinn mehr hätte. Ich war mir in dem Moment sehr bewusst, dass ich diesen Gedanken nicht immer Gehör schenkte und legte deshalb ein Datum fest. Wenn es mir an diesem Datum Ende August nicht deutlich besser ginge, so würde es sicher auch nicht besser werden. Und wenn es mir in der Zwischenzeit wirklich besser ginge: Umso besser.

Ich ging erst davon aus, dass ich dieses Ultimatum bald vergessen würde. Ich habe mir solche Untimaten schon häufiger gesetzt und in der Regel sah schon am Tag darauf die Welt ganz anders aus. Solche Ultimaten halfen mir, in akut depressiven Momenten meinen Kopf frei zu bekommen. Ich konnte die negativen Gedanken beiseite schieben und in aller Regel war es danach so gut, dass ich das Ultimatium schnell vergaß.

Im August war das anders.

Ich verbrachte die nächste Zeit damit, eine Liste aufzubauen mit Dingen, die ich unbedingt erleben oder erledigen wollte, sollte ich mich Ende August dazu entschließen, mein Leben zu beenden. Ich sortierte Dinge aus dieser Liste, die nicht mehr realistisch machbar waren. Am Ende standen weniger als zehn Dinge auf der Liste – und ich fing an, sie systematisch abzuarbeiten.

Kurz vor dem gewählten Datum hatte ich tatsächlich all diese Dinge erledigt, längst einen Plan ausgearbeitet, wie ich meinen letzten Tag verbringen würde und wusste, wie ich mir das Leben nehmen wollte. Ich weiß nicht, wann und warum ich sicher war, dass ich nicht mehr leben wollte, aber irgendwann im August war ich an diesem Punkt angekommen.

Eine Weile vor dem gewählten Datum bat ich einige Freunde um Hilfe. Ich gestand ihnen, dass ich nicht mehr allein zurecht kam und bat sie, auf mich aufzupassen. Eine Woche vor Monatsende gestand ich ihnen dann auch, dass ich sogar Suizidpläne hatte. In einem klaren Moment bat ich darum, mit ihnen an dem Abend etwas zu unternehmen, bis ich müde ins Bett fallen würde. Ich war mir in dem Moment zwar sicher, dass ich nicht sterben wollte und mir nichts tun würde, wollte aber auf Nummer sicher gehen. Zwei gute Freunde stimmten zu und halfen mir, den Abend gut zu überstehen. Ich hab an dem Abend sogar viel Spaß gehabt.

Am nächsten Abend saß ich an meinem Tisch und versuchte mir Mut anzutrinken, um mir das Leben zu nehmen. Ich fand den Mut nicht.

Unter Tränen berichtete ich mitten in der Nacht der Gruppe an Freunden, was ich gerade versucht hatte und bat darum, dass sie mir helfen würden, mich einzuweisen. In den folgenden Tagen ging ich mit einer engen Freundin zur Krisenambulanz der Psychiatrie, bat dort um Hilfe, bekam für die nächste Woche ein Bett auf einer offenen Station versprochen und das Angebot direkt auf eine geschlossene Station zu kommen, wenn nötig. Nach einem umfangreichen Gespräch entschied ich mich, dass ich mit Notfallmedikamenten auch noch die Woche überbrücken könnte.

Tatsächlich habe ich seit dem Gespräch nicht mehr ernsthafte Suizidpläne gehabt. Gedanken daran: Ja, hin und wieder. Aber nie mehr als ein “Urgh, dieser Tag war Scheiße, kann ich bitte einfach sterben?”, nie ernsthaft. Ich glaube, dass der Abend, an dem ich es glücklicherweise nicht geschafft habe, mir etwas anzutun, mich ziemlich geprägt hat. Das heißt leider nicht, dass die Probleme damit vorbei waren, aber sich nicht mehr den Tod zu wünschen, ist auf jeden Fall ein Anfang.

Die nächsten sechs Wochen hab ich auf einer offenen psychiatrischen Station verbracht. “Offen” heißt, dass ich zwischen den Mahlzeiten und Therapien ziemlich freien Ausgang hatte. Auf geschlossenen Stationen ist in aller Regel die Tür geschlossen (daher der Name) und der Ausgang nur unter harten Regeln erlaubt – zumindest ist diese Aufteilung die, wie ich sie mache. Ich glaube, diese Einteilung ist eher eine Einteilung, die von Patienten und Angehörigen genutzt wird, offizielle Bezeichnungen sind meinem Eindruck nach etwas komplizierter. Das ist aber jedenfalls wie ich diese Begriffe verwende.

In meinen sechs Wochen auf Station hab ich endlich realisiert, was im August (und schon vorher) mein Befinden beeinflusst hat. Ich habe zwei Din A4-Seiten mit Dingen beschrieben, die mich belastet haben, allen voran die soziale Isolation. Ich begann vieles aufzuarbeiten und Ideen zu entwickeln, die mir helfen würden, in Zukunft diese Eskalation zu vermeiden. Alles waren aber nur Anfänge – in sechs Wochen kann das nicht alles abgeschlossen werden.

Trotzdem fühlte ich mich sicherer, als ich die Klinik verließ. Ich hatte zwar viele Prüfungen verpasst und kam direkt im neuen Semester wieder zurück an die Uni, hatte also auch keine Zeit, verpasste Prüfungen nachzuholen, fühlte mich aber in der Lage, meinen Alltag wieder aufzunehmen, wenn ich es langsam anging. Und genau das tat ich.

Bis heute hab ich nicht alles nachgearbeitet, was ich durch meinen Klinikaufenthalt verpasst habe. Viele Leute reden gern von “faulen Studenten”, aber zumindest im Bachelor/Master System ist das einfach nicht die Realität. Ja, ich hab den Einstieg in das letzte Semester langsam angehen lassen, aber insgesamt hätte ich auch nicht viel mehr aufholen können, als ich es jetzt habe. Uni ist halt weit mehr als hin und wieder Vorlesungen besuchen, insbesondere, wenn eins auf Bafög angewiesen ist, welches ohne gute Gründe für eine Verlängerung nur in der Regelstudienzeit gezahlt wird. Studieren ist deutlich schwerer als sein Ruf behauptet.

Wer meine Streams verfolgt, hat längst gemerkt, dass ich seit Februar nicht mehr zum Streamen komme. Das liegt nicht daran, dass ich daran keine Freude mehr hätte. Es ist vielmehr so, dass ich dafür seit Februar einfach gar keine Zeit mehr hatte. Meine Verpflichtungen, ein großer Teil davon Unikram, haben mir nur wenig Freizeit gelassen. Da Streams für mich auch zu einem guten Teil Arbeit sind, konnte ich mir dieses Hobby einfach nicht erlauben. Überarbeiten möchte ich mich so schnell nicht nochmal.

Bevor ich diesen Post beende, ist es mir ein Anliegen auch hier noch einmal darauf hinzuweisen, wie zynisch und eklig das Leben sein kann: Am 29.8.2016, wenige Tage, nachdem ich mir das Leben nehmen wollte, endete das Leben meiner guten Freundin und Ex-Partnerin Mica (micatheneco). Mögest du in Frieden ruhen. Ich weiß, dass ich für viele, viele Menschen spreche, wenn ich sage: Ich vermisse dich schmerzlich, aber hoffe, dass du jetzt zumindest an einem besseren Ort bist.

Freunde von Mica sind herzlich willkommen, sich an mich zu wenden, wenn sie mit ihrer Familie Kontakt aufbauen möchten oder sie auf dem Friedhof besuchen möchten.

Ich weiß, dass dieser Beitrag kein fröhlicher geworden ist, aber leider ist mein Leben das bei weitem nicht immer. Falls es nicht deutlich wurde: Mir geht es aktuell besser und ich habe viel, vielleicht sogar das meiste, aufgearbeitet. Ich befinde mich in ambulanter therapeutischer und psychiatrischer Behandlung und fühle mich wohl damit, beides hilft mir. Aber einfach ist mein Leben leider nun einmal nicht. Mir ist es wichtig, hier auch hin und wieder die Schattenseiten zu zeigen, denn viel zu oft werden “schwere” Themen, gerade auch Depressionen oder gar Suizid, totgeschwiegen.