Viel Neues

Contentwarning: Dieser Artikel umfasst die folgenden Themen: Depressionen

In über sieben Monaten hat sich viel getan. Ich werde versuchen, hier einigermaßen chronologisch die Dinge zu erzählen, die mir schon lange auf der Zunge brennen.

Ich schrieb zuletzt davon, mir aufgrund meiner Depressionen einen Platz in einer psychiatrischen Tagesklinik gesichert zu haben. Ich war dort im Januar und Februar für fünf Wochen und hab dort viele nützliche Dinge gelernt. Zum einen habe ich in der Zeit gelernt, viel bewusster zu kommunizieren, habe gelernt, wie wichtig es ist, Dinge, die mir wichtig sind, anzusprechen und mit ihnen offen umzugehen. Diese Sachen hatte ich in der Vergangenheit oft für mich behalten und versucht, sie selbst zu lösen oder Zeichen zu machen, was ich will, ohne es konkret anzusprechen. Oder ich habe unschöne Dinge hingenommen statt sie anzusprechen.

Ein gutes Beispiel dafür ist, als ich in der Klinik eines vormittags von jemandem mit Pronomen “er” betitelt wurde. Es war recht offensichtlich, dass die Person damit nicht so recht zufrieden war, aber sich nicht zu helfen wusste. Ich sprach sie im Anschluss des Programmpunktes unter (mehr oder weniger) vier Augen darauf an, dass ich das unschön fand und um “sie” als Pronomen bitten würde. Die Person reagierte verlegen und entschuldigte sich nicht nur einmal für das falsche Pronomen. Ich wiederum erklärte, dass es schon okay für mich sei, solange sie jetzt drauf achten würde. Ich bin mir ja bewusst, dass mir einige Menschen meine Transsexualität ansehen und nie gelernt haben, wie sie damit umgehen sollen. Danach konnten wir beide diese Sache abschließen und waren zufrieden.

Abseits vom Kommunizieren lernte ich auch einige Skills, die mir helfen, wenn es mir gerade akut schlecht geht. Insbesondere Stabilisierungs-/Imaginationsübungen helfen mir auch heute noch, negative Gefühle leichter aufzuarbeiten. (“Auch heute noch?” werdet ihr fragen. Aber Gemach, liebe LeserNinnen. Dazu komme ich noch.) Wenn die Konzentration nicht reichte, um diese Übungen durchzuführen, half mir Origami, diese Konzentration zu gewinnen. Beim Falten von mir bereits vertrauten Figuren brauchte ich keine wirkliche Konzentration auf das, was ich tat, aber musste meinen Fokus auf das Papier richten. Nach ein, zwei Figuren war mein Kopf dann eigentlich immer zumindest für eine kurze Zeit einigermaßen klar, so dass ich dann die Stabilisierungsübungen angehen konnte, die mir halfen, zumindest für die nächsten Stunden diese Freiheit von negativen Gefühlen zu halten – genug Zeit zu versuchen, den Auslöser der Emotionen zu ergründen und beheben.

Der Aufenthalt in der Tagesklinik hat mir also definitiv etwas gebracht. Jedoch…

Die nächsten vier Wochen waren bei mir Klausurenphase. Diese Zeit war deshalb so besonders, weil nur zwei Klausuren mich von meinem Bachelor-Titel trennten. Zumindest eine der Klausuren würde aber erst ein Semester später wieder angeboten werden, sollte ich durchfallen – das würde nicht nur ein Semester länger im Bachelor bedeuten, sondern finanzielle Probleme mit sich bringen, da ich auf keine weitere Verlängerung des BAföGs hoffen konnte. Entsprechend legte ich mich beim Lernen ins Zeug. Die erste Klausur lief dann auch ganz gut, die zweite jedoch gar nicht. Zu viel Stoff wurde abgefragt, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ich hatte das Gefühl nicht einmal die Hälfte aller Punkte gesammelt zu haben und bekam Panik, dass ich ausgerechnet diese Klausur, die erst ein Semester später wieder angeboten wurde, in den Sand gesetzt hatte. Meine Depressionen kamen mit dieser Angst zurück.

Zwar durfte ich etwa eine Woche später feststellen, dass die Angst unnötig war (offenbar hatte jeder mit dieser Klausur Probleme und die Bestehensgrenze wurde entsprechend angepasst), aber auch wenn die Angst damit verflog, die Depression blieb. Und das über Monate.

Es ist nicht so, dass ich in dieser Zeit gar nicht glücklich sein konnte. Aber es brauchte immer einen Auslöser. Ich war nicht “einfach so” glücklich. Versagensängste wurden mein ständiger Begleiter. Ich konnte meine Erfolge nicht mehr sehen, wenn ich nicht mit der Nase drauf gestoßen wurde, nahm nur die Fehler wahr. Ich kämpfte antriebslos mit meinem Studium und war einige Male kurz davor es einfach hinzuschmeißen, obwohl der Stress rückblickend kein großer war. Es gab durchaus Momente, in denen ich hätte platzen können vor Glück, vor Freude. Aber nie hielt es lange. Ich hatte das Gefühl, dass Energie, Antrieb eine Flüssigkeit war und ich ein löchriger Eimer. Ich konnte die Energie einfach nie lange halten. Und wenn etwas nicht so lief, wie erhofft, riss mich dies immer häufiger so weit runter, dass ich keine Energie mehr hatte, auch nur zu falten oder eine Stabilisierungsübung zu machen. In diesen Momenten kam ich nur noch mit einem Medikament aus meinem Loch, welches ich genau für solche Situationen mitbekommen hatte.

Bis Ende Mai wurde es immer schlimmer und ich entschied mich, mich erneut an die Tagesklinik zu wenden. Zwar wollte ich das laufende Semester noch irgendwie abschließen und erst im Wintersemester wieder in die Klinik, aber ich brauchte irgendein Licht am Ende des Tunnels. Anfang Juni nutzte ich dann einen Moment, in dem ich zumindest etwas Kraft hatte, um in der Klinik anzurufen. Mittlerweile ist mir dort ein Platz im September sicher, um den ich als Absicherung sehr froh bin. Aber es hat sich mehr ergeben.

Ebenfalls Anfang Juni hatte ich einen Termin bei meiner Endokrinologin. Ich sprach mit ihr erneut darüber, dass die Depressionen in den letzten zwei Jahren deutlich zugenommen haben und fragte, ob es die Möglichkeit gebe, andere Medikamente zu verwenden. Die gab es und ich tauschte Androcur gegen Utrogest als Testosteronblocker.  Bereits nach 2-3 Wochen merkte ich eine deutliche Veränderung. Ich habe deutlich mehr Energie – dass ich endlich mal wieder blogge, ist nur einer von vielen Beweisen, wie viel besser es mir geht. In meinem Freundeskreis, ja selbst in meinen Livestreams bin ich darauf angesprochen worden, dass ich wie ausgewechselt wirke, deutlich glücklicher wirke. Dies deckt sich mit meinem Empfinden. Und genau deshalb sage ich, ich bin froh, einen Termin in der Klinik in der Hinterhand zu haben, aber ich rechne mittlerweile damit, ihn nicht zu benötigen. Ich warte noch ab, ob sich doch wieder etwas verändert.

Hätte ich vor 1-2 Monaten noch gesagt, die Hormone seien mir wichtiger als meine geistige Gesundheit, muss ich das jetzt revidieren. Ich hatte vergessen, wie es ist, glücklich zu sein und Energie zu haben. Sollte sich herausstellen, dass die aktuelle Dosis an Utrogest noch falsch ist und nach oben korrigiert werden müssen und sollten dadurch die Depressionen zurückkehren, werde ich erneut das Medikament wechseln. Und wenn alles nichts hilft, dann werde ich keine Hormone mehr nehmen. Das würde natürlich viele Veränderungen, die ich hier schon häufiger angesprochen habe, wieder rückgängig machen, aber bevor ich mich mit solchen inneren Dämonen quäle, kaschiere ich lieber meinen Körper.

Natürlich heißt das alles nicht, dass ich jetzt keine Probleme mehr habe oder nicht von Zeit zu Zeit weine. Es sind in den letzten Wochen einige Dinge passiert, die mich zum Weinen gebracht haben. Ich möchte auf die Details nicht groß eingehen. Was ich aber sagen möchte, ist, dass ich dies nun wieder überstehe, ohne auch nur an das Notfallmedikament denken zu müssen. Der Schmerz ist nicht mehr übermächtig, ich habe die Energie, ihn ohne Hilfe zu überstehen. Und um auch diesen Kreis zu schließen: Ich nutze trotzdem immer noch gerne die Stabilisierungsübungen. Nicht, um es in den akuten Momenten aus dem Schmerz zu schaffen, sondern viel mehr um an mir zu arbeiten. Ich nutze sie zum Beispiel, um an bleibenden Gefühlen zu arbeiten, die sich untergründig über lange Zeit erstrecken, um diese schneller überwinden zu können.

Ich hoffe, dass das Kapitel “Depressionen” damit für mich endlich abgeschlossen ist. Die Zeit wird es zeigen. Wenn nicht, weiß ich aber, wo ich Hilfe bekommen kann und werde es hoffentlich nicht wieder so schlimm werden lassen, wie es war.

Vielleicht noch ein paar Worte zu Dingen, die ich bisher nur andeutete:

Ich habe mittlerweile offiziell den Bachelor of Science in Informatik abgeschlossen. Selbst das erste von hoffentlich vier Semestern des Masters ist so gut wie abgeschlossen und mittlerweile hab ich dabei auch wieder ein gutes Gefühl und Spaß am Studium. Auch ansonsten sieht mein Leben eigentlich echt gut aus. Ich habe tolle Menschen an meiner Seite, die mich unterstützen, tolle Freunde und eine ebenso tolle Familie. Meine sozialen Kontakte waren die letzten Monate, wenn nicht Jahre, zurückgegangen und beschränkten sich auf geplante Veranstaltungen. Davon gab es zwar genug, dass ich mich nicht isoliert habe, aber ich habe mich quasi nicht mehr spontan mit Freunden getroffen, was früher üblich war. Ich werde die nächste Zeit versuchen, was das angeht wieder Fuß in meinem Freundeskreis zu fassen und wieder mehr zu unternehmen. Ich denke, jetzt, wo ich dafür wieder Energie habe, sollte das gut machbar sein.

Soviel zum Rundumschlag. Ich denke, dass ist so das wichtigste der letzten Monate. Als nächstes könnte ich dann ja endlich mal das Layout des Blogs überarbeiten und ihn auf mobilen Geräten vernünftig lesbar machen 😀

Bis bald,

Alina