Heute ist so ein Tag, an dem ich, obwohl ich meine Depressionen hinter mir habe, merke, dass mir langsam die Löffel ausgehen.
“Löffel?”, höre ich euch fragen. Ja, Löffel.
Die Spoon Theory ist ein Artikel, in dem eine junge Frau beschreibt, wie sie ihrer besten Freundin versucht zu erklären, wie sich ein Leben mit ihrer Krankheit anfühlt. Sie greift spontan zu einer Analogie – die beiden sitzen gerade in einem Restaurant und sie sammelt einige Löffel zusammen und gibt ihrer Freundin diese. Dann lässt sie sie aufzählen, was sie an einem normalen Tag für Erledigungen zu tun hat. Bereits als ihre Freundin ihr sagt, dass sie aufsteht, sich fertig macht und zur Arbeit geht, unterbricht sie sie. Um das alles zu tun, müsse sie erst einmal aus dem Bett kommen. Duschen. Sich anziehen. Ihre Medikamente nehmen. Und jede dieser Tätigkeiten kosten Löffel. Bevor sie überhaupt zur Arbeit aufbrechen kann, sind von zwölf Löffeln nur noch sechs übrig.
Sie erklärt ihrer Freundin, dass es manchmal möglich ist, vom nächsten Tag schon Löffel zu “borgen”, doch das bedeutet, dass der nächste Tag noch härter wird. Und was, wenn morgen etwas Unvorhergesehenes passiert? Sind dann überhaupt noch genug Löffel da, um das durchzustehen?
Die Spoon Theory ist meiner Meinung nach ein ziemlich gutes Sinnbild dafür, wie auch ich mich mit meiner Depression gefühlt habe – ich hatte konstant nur knapp genug Löffel, um über den Tag zu kommen, wenn überhaupt. Selten hab ich mal ein paar Löffel zusätzlich sammeln können, durch Aktivitäten, die mir guttaten. Aber niemals konnte das ewig halten. Und jetzt, wo ich diese Theorie kenne, merke ich, dass ich auch heute nicht endlos viele Löffel habe. Ich hab jetzt rund eineinhalb stressige Wochen hinter mir. Es war durchaus eine schöne Zeit, die ich hatte, aber ich bin froh heute Abend endlich wieder etwas länger Zeit nur für mich zu haben, um mich zu erholen. Ich hab gemerkt, dass ich die letzten Tage über immer reizbarer und müder wurde. Aber was ich jetzt erlebe ist harmlos im Gegensatz dazu, wie es mir in der ersten Jahreshälfte ging.
Mittlerweile frage ich Leute oft nicht mehr nur, ob sie Zeit und Lust haben, etwas mit mir zu unternehmen, sondern auch, ob die Löffel dafür da sind. Ich kenne mittlerweile einige Leute, deren Löffel knapp bemessen sind und auch schöne Dinge können durchaus Löffel kosten. Skype-Gespräche, gemeinsame Ausflüge, auch diese Dinge können an schlechten Tagen mehr Löffel fressen als sie generieren. Es macht zwar Spaß, aber es ist auch anstrengend.
Die Löffeltheorie ist für mich nicht absolut perfekt. Ich merke, dass für mich selbst nicht alles nur ein Plus oder ein Minus an Löffeln bedeutet, die Zusammenhänge sind da komplexer. Aber um zu veranschaulichen, wie sich so etwas anfühlt, ist die Theorie meiner Meinung nach ziemlich gut.
Alina