Das Safer Sex Handbuch

Contentwarning: Dieser Artikel umfasst die folgenden Themen: Sex

Huch. Irgendwie rast dieses Jahr (mal wieder) die Zeit. Dabei hab ich eigentlich immer wieder Ideen gehabt, über die ich gern bloggen würde. Aber wie dem auch sei, heute hab ich Zeit, Lust und dazu noch ein Thema!

Ich habe ja vor ein paar Monaten das erste Mal offen über Sex gesprochen. Auch daraus, polyamor zu leben, mache ich kein Geheimnis. Das bedeutet auch, dass ich mit verschiedenen Menschen Sex habe – was das Thema “Safer Sex” für mich deutlich wichtiger gemacht hat.
Das Problem hierbei: Für mich persönlich war der Sexualkundeunterricht in der Schule viel zu früh. Im Wesentlichen war das einzige, dass ich damals begriff, dass ein Kondom in aller Regel vor Schwangerschaft schützen würde – wenn es zwischen einem dyacis-Mann und einer dyacis-Frau zu Sex kam (dyacis => dyadisch, nicht inter und cis, nicht trans). Es ging sicher auch um Krankheiten, aber da ich damals noch kein Interesse an Sex hatte, fand ich den Unterricht grässlich. Sex zwischen gleichgeschlechtlichenn Menschen wurde höchstens angeschnitten, trans und inter Menschen nicht erwähnt und überhaupt ist das ja auch ein Sache bei der immer nur zwei Menschen beteiligt sind. Meine Lebensrealität sieht da deutlich anders aus.

Glücklicherweise stolperte ich kurz nachdem ich anfing, polyamor zu leben, über ein kleines Heftchen, welches mir hier genau die Informationen gab, die ich suchte – das Safer Sex Handbuch von Daniela Stegemann.
Was ich an diesem Handbuch mag, ist schon der Preis: Ein Exemplar kostet nur einen Euro und dürfte damit für sehr viele Menschen gut finanzierbar sein. Und genau das ist auch das Ziel von diesem Heft – viele Menschen erreichen.
So geht es in dem Heft nicht nur um dyadische cis Männer die mit ebensolchen Frauen Spaß haben, es geht darum, dass Menschen mit verschiedensten Körpern mit anderen Menschen Sex haben.
Ich mag an dem Buch, dass es nicht davon ausgeht, dass jeder Mann einen Penis und jede Frau Brüste hat. Es werden viele Vorschläge gemacht, wie mit verschieden Körperteilen umgegangen werden kann und welche Risiken es gibt, ohne sie dabei Geschlechtern zuzuordnen. Und es geht nicht davon aus, dass Körper nur zwei Ausprägungen haben, sondern geht absolut selbstverständlich damit um, dass es ein ganzes Spektrum an Körperteilen gibt – es beschränkt sich nicht auf Penis, Klitoris, Hoden und Vagina. An keiner Stelle spricht das Buch von “Du musst unbedingt folgendes beachten, sonst ist der Sex nicht safe!” sondern es gibt Ratschläge. Es erklärt Risiken und macht Vorschläge, wie mit diesen umgegangen werden kann.
Es bleibt aber nicht beim reinen Sex. Bereits ziemlich zu Anfang behandelt das Handbuch das Thema “wie finde ich eigentlich raus, was ich mag, und wie kann ich drüber reden”. Hier wird sogar darauf eingegangen, dass es Menschen gibt, die Sex eben nicht mögen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dies zu tun. Es ist okay, keinen Spaß am Sex zu haben – und es ist auch okay, trotzdem welchen zu haben, aus welchen Gründen auch immer.
Das Handbuch thematisiert auch Drogenkonsum und welchen Einfluss dies auf Sex haben kann. Sexspielzeug wird thematisiert. Es gibt eine Liste, welche Gleitmittel mit was für Materialen eingesetzt werden können, ohne dass das Material beeinflusst wird.
Und, und das war für mich ein sehr wichtiger Aspekt, es geht nicht davon aus, dass ich nur mit einem einzigen Menschen Sex habe. Sex mit mehreren Menschen wird zwischendurch immer mal wieder thematisiert.

Für mich ist Safer Sex mittlerweile ein wichtiges Thema. Da ich mit mehreren Menschen sexuellen Kontakt habe, ist es mir wichtig, das Risiko von Krankheiten gering zu halten. Passe ich nicht auf, könnte ich eine Krankheit von einer Person auf eine andere übertragen. Ich habe einfach für mehr Menschen Verantwortung als ich es in mono-Beziehungen hatte. Das Safer Sex Handbuch ist dabei mein Nachschlagewerk geworden, wenn ich Unsicherheiten habe. Mittlerweile verteil ich es munter in meinem Polycule (Polycule: Ich, meine PartnerNinnen, deren PartnerNinnen und so weiter), weil ich so begeistert davon bin.
Grundsätzlich würde ich mir sehr wünschen, dass das Handbuch weite Verbreitung findet. Es ist einfach ein super Nachschlagewerk für alle Menschen, die Sex haben. Falls das für euch interessant klingt, schaut doch gern auch mal auf der Website vorbei – daniela-stegemann.de

Alina

Herzmenschen

Mindestens die Personen, die mir auf Twitter folgen, werden schon hin und wieder über den Begriff “Herzmensch” gestolpert sein, den ich ziemlich häufig verwende. Ich hab immer wieder gesehen, dass andere Leute den Begriff anders verwenden als ich, deshalb möchte ich an dieser Stelle erklären, was er für mich bedeutet.

Herzmenschen meint für mich meine PartnerNinnen. Ich bevorzuge den Begriff dabei allerdings aus mehreren Gründen.

Der Begriff Herzmensch ist in meinen Augen geschlechtsneutral, wie auch das Wort “Mensch”. Da nicht alle meine Herzmenschen männlich oder weiblich sind, macht dieses Wort das Sprechen über sie einfacher. Sie gehören verschiedenen Geschlechtern an, nicht alle sind überhaupt männlich oder weiblich. Ich brauche also in einigen Fällen auch ein Wort, dass auch im Singular Geschlechtsneutral ist. “Partner”/”Partnerin” oder “Freund”/”Freundin” trifft es also nicht bei allen meinen Herzmenschen. PartnerNin oder FreundNin ist aber eine Schreib- und Sprechweise, die einfach noch nicht wirklich verbreitet ist und erklärt werden muss, was ich nicht immer möchte. Herzmensch ist hier also eine gute Alternative.

Außerdem macht es auch allgemein das Sprechen im Plural leichter: Von meinen Freunden oder Freundinnen zu reden wird nicht dem gerecht, was zwischen meinen Herzmenschen und mir ist. Es klingt, als seien wir einfach nur befreundet. Das Wort “Partner” würde hier etwas besser funktionieren, aber trotzdem besteht die Gefahr, dass es nicht als romantische Partner, sondern zu Beispiel als Geschäftspartner verstanden wird.

Eine weitere wichtige Abgrenzung hat sich in den letzten Monaten ergeben: Ich bin nicht mit allen Menschen zusammen, die ich als Herzmenschen bezeichne und von denen auch ich so genannt werde. Ja, es besteht ein romantisches Interesse aneinander. Ja, dies wird auch gemeinsam ausgelebt. Aber jede Person versteht ein bisschen etwas anderes unter dem Wort “Beziehung”. Für mich gehen damit Erwartungen an mich selbst und den betreffenden Herzmenschen einher, nicht immer können diese von meinen Herzmenschen und/oder mir erfüllt werden. Statt aber deshalb “nur” eine Freundschaft zu führen, lassen wir uns einfach trotzdem auf das ein, was passiert und lassen das Label “Beziehung” und damit die Erwartungen außen vor. Das funktioniert erstaunlich gut.

Tatsächlich kann ich mir vorstellen, dass ich irgendwann mit den entsprechenden Herzmenschen entscheide, dass die Bezeichnung “Beziehung” doch auch okay ist. Dann nämlich, wenn sowieso gefestigt ist, wie wir zueinander stehen. Denn letztlich ist es für mich so, dass die meisten Beziehungen in meiner Vergangenheit eh nicht alle Erwartungen erfüllten, sich langsam von meiner “Normvorstellung” weg entwickelten. Wenn die Bindung zu einem Herzmenschen sehr gefestigt ist, ist es dann nur ein Umdefinieren dessen, was zwischen uns ist, das Austauschen eines Namens ohne damit die Bedeutung zu verändern. Umgekehrt ist es aber so, dass die Bezeichnung “Beziehung” eben doch Erwartungen mitbringt, wenn die Bindung zu einem Menschen noch nicht gefestigt ist, noch wächst.

Ob ich tatsächlich irgendwann die Verbindungen zu einigen meiner Herzmenschen umdefiniere und Beziehungen nenne, wird sich zeigen. Ich habe damit keine Eile, denn aktuell ist es schön, wie es ist.

Polyamorie

Im letzten Jahr hat sich für mich auf vielen Ebenen viel getan. Eine Veränderung, über die ich bisher hier nicht gesprochen habe, ist, dass ich mittlerweile polyamor lebe. Polyamor heißt, dass ich mehrere Beziehungen gleichzeitig führe. Das heißt allerdings nicht, dass ich “fremdgehe” – alle Beteiligten wissen um all meine Beziehungen. Es heißt auch nicht, dass ich in einer offenen Hauptbeziehung lebe und einige “Nebenbeziehungen” führe – für mich sind meine Herzmenschen alle wichtig und ich kann nicht behaupten, eine Beziehung sei wichtiger als eine andere. Sie sind alle verschieden, aber ich hebe nicht eine Beziehung über die anderen.

Nun, das stimmt nicht ganz. Aktuell bin ich aus verschiedenen Gründen nur noch in einer Beziehung. Von drei Trennungen, die ich dieses Jahr hatte, war aber nur bei einer meine Polyamorie der Trennungsgrund, die anderen Trennungen waren aus anderen Gründen nötig. Für mich ist das Experiment “Polyamorie”, das irgendwann Ende letzten Jahres begann, aber bei weitem nicht gescheitert, im Gegenteil hat Polyamorie mein Leben ziemlich bereichert. Aber fangen wir vorne an.

Nachdem Ende 2014 eine Beziehung endete, hatte ich eigentlich geglaubt, eine Weile keine Beziehung zu wollen. Ich wollte mich nicht fest an eine Person binden sondern lieber ausprobieren, was mir in einer Beziehung eigentlich wichtig ist. In dieser Zeit lernte ich die Person kennen, mit der ich bis heute zusammen bin. Auch sie wollte sich eigentlich nicht binden, und so verblieben wir dabei, dass zwischen uns etwas war, das zwar mehr als eine Freundschaft, aber ganz bestimmt weniger als eine Beziehung war. Erst deutlich später gestanden wir uns ein, dass es rückblickend eigentlich schon damals eine Beziehung war, wie wir heute Beziehungen verstehen.

Anfang diesen Jahres lernte ich dann zwei weitere Menschen kennen, die offen für Polyamorie waren und die mir, genau wie die schon genannte Person, unglaublich halfen, als die Depression ihren Höhepunkt erreichte. Irgendwann stellte ich nach und nach fest, wohl für alle diese Menschen Gefühle zu haben, gestand sie mir und ihnen ein und wir fingen an das, was zwischen uns war, als Beziehungen zu bezeichnen. Irgendwie passierte das einfach so. Hätte mir das Mitte 2014 jemand erzählt, ich hätte die Person ausgelacht. Ich hatte früher immer behauptet, ich könne nicht mehr als eine Person gleichzeitig lieben. Stellt sich heraus: Ich lag falsch. Witzig ist da eine Antwort auf ask.fm auf die Frage, ob ich mehrere Personen lieben könne.

Es hat sich dann wie gesagt noch einiges getan. Eine Beziehung ging, eine andere kam und ging und dann endete noch eine Beziehung, sodass ich jetzt doch wieder nur mit der Person zusammen bin, durch die ich Polyamorie überhaupt für mich entdeckt habe. Ich möchte noch einmal dazu sagen: Ich bin mit den drei Menschen, zu denen die Beziehungen zerbrachen, immer noch gut befreundet und nur in einem Fall war die Polyamorie an der Trennung (mit-)schuld. Insgesamt funktioniert für mich Polyamorie sehr gut, auch wenn ich verstehen kann, dass dieses Beziehungskonzept sicher nicht für jede Person etwas ist.

Polyamorie hat definitiv Vor- und Nachteile. Vorteile, die ich daran sehe, sind zum Beispiel, dass ich durch mehr Herzmenschen auch mehr Menschen habe, denen ich mich komplett anvertrauen kann und die für mich da sind, wenn es mir schlecht geht. Ich hab Situationen erlebt, in denen mehrere Herzmenschen mir gleichzeitig etwas Gutes taten und war in den Momenten von positiven Emotionen unglaublich überwältigt. Es ist ja schon ein unbeschreibliches Gefühl, sich von einer Person geliebt zu fühlen, aber dieses Gefühl dann mehrfach gleichzeitig zu empfinden ist unglaublich.

Außerdem ist es mir möglich verschiedene Bedürfnisse, die ich in Beziehungen habe, auf verschiedene Personen zu verteilen. Früher wäre es für mich ein Trennungsgrund gewesen, wenn ich diese Bedürfnisse nicht ausreichend in einer Beziehung stillen konnte, heute ist es das nicht mehr. Wenn mir bewusst wird, dass mir in einer Beziehung etwas fehlt, spreche ich mit meinen Herzmenschen darüber und wenn wir keine Lösung finden, habe ich immer noch die Option, dieses Bedürfnis durch einen andere Beziehung abzudecken. Das mag im ersten Moment unromantisch klingen, aber tatsächlich empfinde ich es genau gegenteilig: Ich kann jetzt Beziehungen, die toll sind, aber in denen mir Dinge fehlen, weiterführen, im Wissen, dass es in Ordnung ist, dieses Bedürfnis durch andere Menschen abdecken zu lassen. Es ist kein Trennungsgrund mehr, wenn Teilaspekte eine Beziehung nicht so laufen, wie ich es mir wünsche.

Umgekehrt bedeutet dies auch, dass ich versuche, den Ansprüchen, die meine Herzmenschen an die Beziehung zu mir stellen, gerecht zu werden. Und mit mehr Beziehungen sind es auch mehr Ansprüche. Mehrere Beziehungen zu führen ist für mich ein größerer Zeitaufwand als eine einzelne, wobei das auch von den Bedürfnissen meiner Herzmenschen abhängt. Wenn ein Herzmensch, so wie ich auch, ein hohen Bedarf an Kommunikation und Austausch hat, fließt dort viel Zeit rein. Mehreren Herzmenschen, die zum Beispiel täglich telefonieren wollen, könnte ich vermutlich nicht gerecht werden. Es gilt also, hier eine Balance zu finden, die für alle Beteiligten funktioniert. Nein, dass ist nicht immer ganz einfach. Definitiv nicht. Das ist Arbeit.

Eine andere Schwierigkeit, mit der ich selbst anfangs heftig zu kämpfen hatte, ist Eifersucht. Nur, weil ich entschieden habe, Polyamorie auszuprobieren, heißt das nicht, dass alle Eifersucht wie weggeblasen ist. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall. Während ich in einzelnen Beziehungen eigentlich nie Probleme mit Eifersucht hatte, erlebte ich sie Anfang des Jahres ziemlich heftig. Zu dem Zeitpunkt realisierte ich zum ersten Mal, dass ein Herzmensch selbst mit einem Menschen zusammen war, für den er ähnlich viel wie für mich empfand. Selbst als ich nach und nach begriff, dass dies nicht bedeutete, dass mein Platz in seinem Herzen gefährdet war, nagte das Wissen sehr an mir. Und das, obwohl ich ja selbst in mehreren Beziehung war. Doppelmoral? Definitiv. Aber auch dieses Wissen half mir nicht wirklich, mich mit diesen Gefühlen zu arrangieren.

Was mir aber half: Drüber reden. Mit meinem Herzmenschen und dem seinen. Wir versuchten gemeinsam zu ergründen, woher die Gefühle kommen und Kompromisse zu finden, die mir den Umgang mit der Eifersucht leichter machten. Mein Ziel war dabei nie, den beiden etwas grundsätzlich zu verbieten, sondern mich an den Gedanken heran zu tasten, dass auch die beiden in einer Beziehung sind. Die meisten Kompromisse, insbesondere die, bei denen die beiden deutlich auf mich zu gekommen sind, waren nicht dafür gedacht, für alle Ewigkeit zu halten, sondern primär dafür da, mir etwas “Schonfrist” zu geben.

Mittlerweile komme ich mit meiner Eifersucht deutlich besser zurecht. Weg ist sie nicht und ich glaube auch nicht, dass es möglich ist, sie verschwinden zu lassen, aber ich habe mit ihr umzugehen gelernt. Statt mich von ihr zerfressen zu lassen tu ich Dinge, die mir Freude bereiten. Oft sind das dann solche Dinge, von denen ich weiß, dass der Herzmenschen, um den sich meine Gefühle gerade drehen, wenig anfangen kann. Ich programmiere zum Beispiel etwas, oder spiele Videospiele, die besagtem Herzmenschen nicht gefallen. Für mich funktioniert das ziemlich gut, um der Eifersucht einfach aus dem Weg zu gehen. Sie ist dann zwar da, aber ich lasse sie einfach sitzen und kümmere mich nicht um sie.

Allgemein ist in polyamoren Beziehungen Kommunikation in meinen Augen noch wichtiger als in Zweierbeziehungen. Es gibt mehr Beteiligte, auf die Acht gegeben werden muss, damit es nicht zu ungesunden Dynamiken kommt. Alle Beteiligten soll es schließlich gut damit gehen. Ich wiederhole noch einmal: Das ist Arbeit.

Nichts desto trotz überwiegen für mich die Vorteile von Polyamorie. Ich fühle mich so einfach super wohl. Ich finde es daher ziemlich schade, dass offene Beziehungskonzepte in der Gesellschaft einen eher schlechten Stand haben. Wenn eins sich Vor- und Nachteile klar macht und bereit ist, Arbeit zu investieren, kann Polyamorie für viele etwas unglaublich tolles und schönes sein, da ist es schade, dass sie so selten überhaupt erwähnt wird und oft mit Ablehnung auf sie reagiert wird.

Alina