Wer schon 2011 mitgelesen hat, kennt vielleicht noch die Reihe “Ein wenig Geschichte”, die ich damals im Adventskalender angefangen habe und in der ich meine Entwicklung im Bezug auf meine Transsexualität festgehalten habe. Wer sie nicht kennt: Hier findet ihr Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4. Wer die Einträge erst jetzt nachliest, sei gewarnt: Mein Schreibstil ist meiner Meinung nach deutlich schlechter in diesen alten Beiträgen. Außerdem sind viele Ansichten nicht mehr Up-To-Date, aber ich möchte sie nicht überarbeiten, sondern unverfälscht stehen lassen, wie ich die Dinge damals gesehen habe.
Der vierte Teil der Reihe endete 2011 damit, dass ich mich kurz nach dem Ende einer Beziehung befand, die ich damals als Stütze empfunden hatte und in der ich geglaubte hatte, mich frei entfalten zu können. Rückblickend muss ich sagen: Das stimmt nicht so richtig. Auch in der Beziehung habe ich mehrfach zu hören bekommen, dass Transvestie zwar in Ordnung ginge, und über das Thema waren die Gespräche definitiv offener, aber Transsexualität wurde auch in der Beziehung als Trennungsgrund bezeichnet. Wie schon all die Jahre vorher habe ich daher jeden Gedanken daran, dass ich vielleicht doch wirklich transsexuell sein könnte, weit von mir geschoben. Ich wollte die Beziehung nicht gefährden.
Verloren habe ich die Beziehung dann aber letzten Endes doch.
Es dauerte nach Ende der Beziehung tatsächlich nicht allzu lange, nur etwa zwei Monate, bis ich realisierte, dass ich transsexuell bin. Ich erlaubte mir zum ersten Mal seit Jahren, diese Option ernsthaft in Betracht zu ziehen und realisierte schnell, dass ich nur dann “als Mann” unter die Leute ging, wenn meine weibliche Kleidung zur Neige ging. Ich hatte damals nicht viel Kleidung aus der Frauenabteilung und muss zugeben: Noch heute fühle ich mich in Sachen aus eben dieser Abteilung wohler, selbst wenn es Mode ist, die selbst von der Gesellschaft kein Geschlechts-Etikett aufgedrückt bekommt. (Heute bin ich allgemein der Meinung, jedmensch solle einfach tragen, was xier gut findet, eine Unterteilung der Mode in “männlich” und “weiblich” ist in meinen Augen einfach seltsam. Trotzdem – ich bin leider so sehr von der Gesellschaft geprägt, dass Kleidung aus der Frauenabteilung bis heute für mein Wohlbefinden ziemlich wichtig ist.)
Ich realisierte also, dass ich nur noch dann als Mann auftrat, wenn ich das Gefühl hatte, nicht überzeugend als Frau auftreten zu können. Ich realisierte, dass ich mich als Frau wohler fühlte als als Mann, dass ich mich mehr “Ich selbst” fühle. Ich realisierte, transsexuell zu sein.
Die Erkenntnis kam Ende Januar 2012 und ich habe seit her nur ein einziges Wochenende, das genau nach dieser Erkenntnis, überhaupt noch “als Mann” verbracht. Insbesondere im ersten Jahr hatte ich noch viele Probleme mit Misgendering, also dem beim-falschen-Pronomen-genannt-werden, später wurde es deutlich weniger. Genau gegensätzlich verhielt sich meine Empfindlichkeit auf Misgendering. War es anfangs für mich nur etwas nervig, aber nicht weiter tragisch, misgendert zu werden, so tat es immer mehr weh. Mit jedem Tag, mit dem ich mir sicherer war, dass das Leben als Frau für mich genau der richtige Weg war und ist, tat es mehr weh, ein “er” als Pronomen zu hören. Kurioserweise hatte ich dabei aber selten Probleme in bürokratischen Angelegenheiten meinen alten Namen zu verwenden. Das kam erst deutlich später, mit der Namensänderung.
Ich hatte das Glück, 2012 ein paar weitere trans Frauen in meiner Altersgruppe kennen zu lernen, die bereits Erfahrung mit Therapie, Hormonen, Namensänderung und ähnlichen Themen hatten. Im Austausch mit diesen stellte ich schnell fest, dass ich mich mit dem verbreitesten Weg recht gut anfreunden konnte – einzig einer Geschlechtsangleichenden OP stand ich immer skeptisch gegenüber und fühle mich bis heute ohne wohl. Durch die beiden nahm ich Kontakt zu meiner Therapeutin auf, die mich bis heute begleitet, und erfuhr auch von einer Studie in Aachen, bei der es um Stimmen und Stimmwahrnehmung von trans Menschen ging und durch die ich eine Heilmittelverordnung für Logopädie bekam. Ob ich zuerst mit der Logopädie oder der Therapie anfing, weiß ich gar nicht mehr sicher, auch wenn ich glaube, dass es die Logopädie war.
Für mich waren dies die ersten großen Schritte. Über die Therapie erhoffte ich mir, irgendwann eine Indikation für eine Hormontherapie zu bekommen, was letztlich ja auch klappte, die Logopädie half mir sehr dabei, eine Stimme zu finden, die zu meinem Passing passt. Hab ich früher zwar keine tiefe, aber doch markant nach Stimmbruch klingende Stimme gehabt, so spreche ich heute deutlich sanfter und meine Stimme wird damit in aller Regel als weiblich wahrgenommen.
Im sechsten Teil dieser Reihe möchte ich auf die noch jüngeren Entwicklungen eingehen, ins Besondere auf die Auswirkungen der Hormone und die Namensänderung, aber auch darauf, wie sich allgemein mein Denken über Transsexualität verändert hat. Gerade das letzte Jahr hat mich sehr geprägt.
Alina