Libido

Contentwarning: Dieser Artikel umfasst die folgenden Themen: Sex

Ich möchte in diesem Post über ein Thema sprechen, über das ich bisher nie öffentlich gesprochen habe, nämlich über den Einfluss der Hormone auf meine Libido. Ich werde hier nicht auf irgendwelche Vorlieben oder derlei Dinge eingehen, sondern möchte einfach aufzeigen, was für einen starken Einfluss Hormone auf diesen Aspekt meines Lebens hatten und haben. Ich hab lange überlegt, ob ich dieses Thema ansprechen möchte, hab es ja auch etwa 1,5 Jahre tatsächlich nicht angesprochen, fühle mich mittlerweile bei dem Thema aber sicherer und halte es sowieso für ein eigentlich wichtiges Thema.

Die Hormone hatten und haben einen ziemlich großen Einfluss auf meine Libido. Vor meiner Hormontherapie war sie für mein Wohlgefühl unangenehm hoch. Ich hatte ziemlich oft sexuelles Verlangen, selbst wenn ich es in den Momenten als störend und ablenkend empfand, was mir tatsächlich auch viel Freude am Sex genommen hat. Wie gesagt will ich nicht zu sehr in die Details gehen, aber das war anstrengend.

Mit der Hormontherapie ließ die Libido deutlich nach. Diese Wirkung setzte tatsächlich ziemlich früh ein, nach wenigen Wochen, wenn ich mich recht erinnere. Ich empfand es als große Entlastung. Das Interesse an Sex mit anderen oder mir selbst war lange Zeit kaum vorhanden. Dass ich vorher ständig das Bedürfnis danach hatte und Sex dadurch zur reinen Bedürfnisstillung geworden ist, hatte die Konsequenz, dass jetzt ohne das Bedürfnis erst recht kein Interesse daran vorhanden war. Erst einige Monate später entwickelte ich wieder ein Interesse an Sex und eigentlich zum ersten Mal “aus freien Stücken”, ohne dass ich ein körperliches Verlangen danach verspürte.

Ich bin mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem ich Sex endlich als etwas schönes empfinde. Eins könnte also fast schon sagen, dass mir die Hormone dabei geholfen haben, mich selbst besser kennen zu lernen. Leider kommt das aber auch mit hohen Kosten. Die fehlende Libido sorgt dafür, dass ich es deutlich schwerer habe, körperlich zu klassischem Sex in der Lage zu sein. Ich habe mittlerweile oft genug erlebt, dass ich nicht dazu in der Lage war, eine Erektion zu bekommen. Ich habe daher mittlerweile das auch gar nicht mehr als Ziel, wenn ich mit Menschen intim werde – die Intimität ist Selbstzweck, ein Orgasmus ein i-Tüpfelchen. Das war gerade anfangs ungewohnt und frustrierend, weil ich es so bis dahin nicht kannte, aber nach einer Zeit der Umgewöhnung muss ich sagen, dass es mir so eigentlich fast besser gefällt. Seit nicht mehr ein Orgasmus das Ziel von Intimität und Sex ist, nehme ich mir mehr Zeit für Dinge, die ich bis dahin höchstens als Vorspiel betrachtet habe und lerne, dass diese auch einen ganz eigenen Reiz haben und für mich auch schön sind. Sehr anders, aber schön.

Kurzum: Durch die Hormone ist es deutlich schwerer, eine Erektion zu bekommen und auch das Bedürfnis nach Sex ist deutlich gefallen. Insgesamt war das für mich direkt mehrmals eine Umstellung, mittlerweile bin ich aber ziemlich glücklich mit dem Status Quo.

Pen and Paper

Immer mal wieder habe ich in diesem Blog schon von sogenannten Pen and Paper Rollenspielen, oder kürzer P’n’Ps oder P&Ps, gesprochen. Ich habe aber noch nie wirklich erklärt, was diese Spiele eigentlich sind und was für welche ich spiele. Ich verwende in diesem Artikel wieder an einigen Stellen geschlechtsneutrale Sprache.

P&Ps funktionieren sind Spiele, bei denen einer SpielleiterNin eine Geschichte erzählt, während die MitspielerNinnen jeweils einen Charakter spielen. Diese Charaktere sind die ProtagonistNinnen der Geschichte. Während die SpielerNinnen also mit diesen Charakteren Einfluss auf die Geschichte nehmen können, wird diese von diem SpielleiterNin erzählt, xier bestimmt was passiert und was nicht, xier erzählt, wie die Welt aussieht, was die Charaktere wahrnehmen, wie andere Charaktere auf die SpielerNinnencharaktere reagieren und so weiter und so fort. Dier SpielleiterNin ist in den meisten P&P-Systemen allmächtig, darf alles einfach beschließen, aber xieser Aufgabe ist es, eine Geschichte zu erzählen, an der alle beteiligten Spaß haben.

Ich erwähnte gerade so nebenher, dass es verschiedene “Systeme” gibt – die meisten dieser Systeme sind eine Mischung aus Weltbeschreibung und Regelwerk. Schauen wir uns diese beiden Dinge doch mal etwas genauer an.

Regelwerke sind wichtig, da die obrige Beschreibung, wie ein P&P abläuft noch sehr von SpielleiterNinnenwillkür dominiert ist. Wenn dier SpielleiterNin einfach entscheiden darf, welche Aktion der SpielerNinnencharaktere funktionieren und welche scheitern, kann es sich für die SpielerNinnen unfair anfühlen und vor Allem weiß dier SpielleiterNin vielleicht auch gar nicht immer, was klappen kann und was nicht. Dafür gibt es sogenannte Proben und bei diesen kommt der namensgebende Aspekt von Papier und Stift zur Geltung:

Die SpielerNinnen besitzen sogenannte Charakterbögen, die im Wesentlichen Zettel sind, auf denen einige verschiedene Eigenschaften des zugehörigen Charakters notiert sind, oft mit zugehörigen Werten. Aus diesen Werten wiederum werden Proben abgeleitet, die meistens durch Würfelwürfe durchgeführt werden. Das Schwarze Auge, kurz DSA, ein System, dass ich viel spiele, handhabt das zum Beispiel so, dass ich bei einfachen Proben einfach auf meinem Charakterbogen den passenden Wert suche und dann versuche mit einem zwanzigseitigem Würfel den Wert zu treffen oder zu unterbieten. Habe ich einen Mut-Wert von 14, dann bedeutet das, dass eine 1 bis 14 auf einem zwanzigseitigem Würfel einer gelungenen Mut-Probe entsprechen, während 15 bis 20 ein scheitern bedeuten. Diese Probe werden immer dann zu Rate gezogen, wenn dier SpielleiterNin unsicher ist, wie ein Ereignis ausgeht: Bin ich geschickt genug den Baum herauf zu klettern? Bin ich stark genug, eine Tür aufzubrechen?

Die meisten Systeme bieten aber wie gesagt nicht nur einen Regelkatalog, sondern beschreiben oft auch eine erfundene Welt. Bei DSA ist das zum Beispiel die Welt Dere und vor allem der Kontinent Aventurien, der beschrieben wird. Dadurch, dass die Autoren des Systems die Welt schon ziemlich detailiert beschrieben haben, weiß ich zum Beispiel, dass in der südlichen Hälfte Aventuriens eine große Wüste liegt und das es verschiedene zauberbegabte Wesen gibt. Ich weiß, dass die Welt an das Mittelalter angelehnt ist, es aber Drachen und andere Fabelwesen gibt. Ich kann nachschlagen, wie teuer genau diese eine Taverne in diesem einem Ort ist und kann vielleicht sogar erfahren, dass der Wirt dort mit seiner Frau drei Kinder hat. Ja, DSA geht an einigen Stellen tatsächlich so weit in die Tiefe. Einerseits ist das ein Vorteil, weil sich andere die Mühe gemacht haben, eine möglichst konsistente Welt zu erfinden, andererseits kann dieser Detailgrad auch einengen. Wie sehr eins sich also an offizielle Quellen hält, ist Geschmackssache. (Die Konsistenz ist übrigens natürlich trotzdem nicht perfekt; es gab Publikationen zu DSA, die den Preis von Weizen teurer ansetzten als den der Menge Brot, welches aus diesem hergestellt werden konnte. Bäcker müssten also Verluste machen.)

Es gibt immer wieder Systeme, die ohne Regelwerk oder ohne Welt daher kommen. Die Systeme ohne Welt versuchen meist, die Regeln so offen zu halten, dass sie in beliebigen Welten spielbar sind. Zumindest im kommerziellen Bereich sind Systeme ohne Regeln dafür eher selten. Vermutlich, weil potentielle Kunden dann auch noch ein System mit Regeln dazu kaufen müssten, was viele verschrecken könnte. Was es häufiger gibt, sind jedoch Abenteuer, die an kein System gebunden sind.

Abenteuer sind im Wesentlichen einzelne Geschichten. Dort steht dann drin, das die Königin auf die SpielerNinnencharaktere zukommt, weil ihr einziges Kind von einem Drachen entführt wurde und beschreibt möglichst alles, was für die Rettung nötig ist, inklusive des Plottwists, dass in Wahrheit der Spross der Königsfamilie den Drachen entführt hat, nicht umgekehrt. Abenteuer sind oft für bestimmte Systeme und ihre Regeln und Welten beschrieben, aber gerade bei HobbyautorNinnen finden sich oft Abenteuer, die an kein System gebunden sind. Dazu gehört auch Tiefenrausch, ein Abenteuer in einem Horror-Setting, das zwar ein System vorschlägt, aber nicht in der offiziellen Welt spielt und auch mit beliebigen anderen Regeln gespielt werden könnte. Tiefenrausch hat Trial, hier im Blog in den Zeiten, in denen ich keine Namen nannte auch als “Der Biertige” bekannt, erfunden und ich bin gerade dabei dieses Abenteuer zu überarbeiten und in einen Zustand zu übertragen, in dem es vielleicht sogar veröffentlicht werden könnte.

Nun habe ich zumindest zwei “Systeme” bereits erwähnt, die ich spiele: DSA spiele ich wöchentlich und auch für Tiefenrausch habe ich aktuell wieder eine Runde. Bei DSA bin ich Spielerin, Tiefenrausch leite ich. Weiterhin spiele ich Dungeons and Dragons, ein Urgestein unter den Rollenspielen mit starken Fokus aufs Kämpfen. Es spielt zwar wie DSA an in einer Fantasy-Welt, aber es spielt sich durch den anderen Fokus vollkommen anders. Eine Weile ausprobiert habe ich noch Vampire: The Masquerade und Shadowrun. Vampire spielt in einer Variation der Realität, in der es Vampire gibt, die im Hintergrund die Fäden ziehen und versuchen ihre Parallelgesellschaft geheim zu halten, während Shadowrun dem Cyberpunk-Genre angehört – es spielt auf der Erde in rund 50 bis 60 Jahren, in einer Welt, in die Magie eingekehrt ist, die aber gleichzeitig hochtechnologisiert und dazu unglaublich korrupt ist. Immer Mal wieder probiere ich aber auch hier und dort andere Systeme aus, zum Beispiel Ratten!, Los Muertos oder Dungeon Slayers. Unbedingt mal ausprobieren will ich Plüsch, Power & Plunder, bei dem eins Plüschtiere spielt.

Soviel zum Rundumschlag zum Thema Rollenspiele. Wenn ich in Zukunft von P&Ps berichte, wisst ihr, wovon ich spreche 😀

Alina

Ein wenig Geschichte, Teil 5: Erkenntnisse und erste Schritte

Wer schon 2011 mitgelesen hat, kennt vielleicht noch die Reihe “Ein wenig Geschichte”, die ich damals im Adventskalender angefangen habe und in der ich meine Entwicklung im Bezug auf meine Transsexualität festgehalten habe. Wer sie nicht kennt: Hier findet ihr Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4. Wer die Einträge erst jetzt nachliest, sei gewarnt: Mein Schreibstil ist meiner Meinung nach deutlich schlechter in diesen alten Beiträgen. Außerdem sind viele Ansichten nicht mehr Up-To-Date, aber ich möchte sie nicht überarbeiten, sondern unverfälscht stehen lassen, wie ich die Dinge damals gesehen habe.

Der vierte Teil der Reihe endete 2011 damit, dass ich mich kurz nach dem Ende einer Beziehung befand, die ich damals als Stütze empfunden hatte und in der ich geglaubte hatte, mich frei entfalten zu können. Rückblickend muss ich sagen: Das stimmt nicht so richtig. Auch in der Beziehung habe ich mehrfach zu hören bekommen, dass Transvestie zwar in Ordnung ginge, und über das Thema waren die Gespräche definitiv offener, aber Transsexualität wurde auch in der Beziehung als Trennungsgrund bezeichnet. Wie schon all die Jahre vorher habe ich daher jeden Gedanken daran, dass ich vielleicht doch wirklich transsexuell sein könnte, weit von mir geschoben. Ich wollte die Beziehung nicht gefährden.

Verloren habe ich die Beziehung dann aber letzten Endes doch.

Es dauerte nach Ende der Beziehung tatsächlich nicht allzu lange, nur etwa zwei Monate, bis ich realisierte, dass ich transsexuell bin. Ich erlaubte mir zum ersten Mal seit Jahren, diese Option ernsthaft in Betracht zu ziehen und realisierte schnell, dass ich nur dann “als Mann” unter die Leute ging, wenn meine weibliche Kleidung zur Neige ging. Ich hatte damals nicht viel Kleidung aus der Frauenabteilung und muss zugeben: Noch heute fühle ich mich in Sachen aus eben dieser Abteilung wohler, selbst wenn es Mode ist, die selbst von der Gesellschaft kein Geschlechts-Etikett aufgedrückt bekommt. (Heute bin ich allgemein der Meinung, jedmensch solle einfach tragen, was xier gut findet, eine Unterteilung der Mode in “männlich” und “weiblich” ist in meinen Augen einfach seltsam. Trotzdem – ich bin leider so sehr von der Gesellschaft geprägt, dass Kleidung aus der Frauenabteilung bis heute für mein Wohlbefinden ziemlich wichtig ist.)

Ich realisierte also, dass ich nur noch dann als Mann auftrat, wenn ich das Gefühl hatte, nicht überzeugend als Frau auftreten zu können. Ich realisierte, dass ich mich als Frau wohler fühlte als als Mann, dass ich mich mehr “Ich selbst” fühle. Ich realisierte, transsexuell zu sein.

Die Erkenntnis kam Ende Januar  2012 und ich habe seit her nur ein einziges Wochenende, das genau nach dieser Erkenntnis, überhaupt noch “als Mann” verbracht. Insbesondere im ersten Jahr hatte ich noch viele Probleme mit Misgendering, also dem beim-falschen-Pronomen-genannt-werden, später wurde es deutlich weniger. Genau gegensätzlich verhielt sich meine Empfindlichkeit auf Misgendering. War es anfangs für mich nur etwas nervig, aber nicht weiter tragisch, misgendert zu werden, so tat es immer mehr weh. Mit jedem Tag, mit dem ich mir sicherer war, dass das Leben als Frau für mich genau der richtige Weg war und ist, tat es mehr weh, ein “er” als Pronomen zu hören. Kurioserweise hatte ich dabei aber selten Probleme in bürokratischen Angelegenheiten meinen alten Namen zu verwenden. Das kam erst deutlich später, mit der Namensänderung.

Ich hatte das Glück, 2012 ein paar weitere trans Frauen in meiner Altersgruppe kennen zu lernen, die bereits Erfahrung mit Therapie, Hormonen, Namensänderung und ähnlichen Themen hatten. Im Austausch mit diesen stellte ich schnell fest, dass ich mich mit dem verbreitesten Weg recht gut anfreunden konnte – einzig einer Geschlechtsangleichenden OP stand ich immer skeptisch gegenüber und fühle mich bis heute ohne wohl. Durch die beiden nahm ich Kontakt zu meiner Therapeutin auf, die mich bis heute begleitet, und erfuhr auch von einer Studie in Aachen, bei der es um Stimmen und Stimmwahrnehmung von trans Menschen ging und durch die ich eine Heilmittelverordnung für Logopädie bekam. Ob ich zuerst mit der Logopädie oder der Therapie anfing, weiß ich gar nicht mehr sicher, auch wenn ich glaube, dass es die Logopädie war.

Für mich waren dies die ersten großen Schritte. Über die Therapie erhoffte ich mir, irgendwann eine Indikation für eine Hormontherapie zu bekommen, was letztlich ja auch klappte, die Logopädie half mir sehr dabei, eine Stimme zu finden, die zu meinem Passing passt. Hab ich früher zwar keine tiefe, aber doch markant nach Stimmbruch klingende Stimme gehabt, so spreche ich heute deutlich sanfter und meine Stimme wird damit in aller Regel als weiblich wahrgenommen.

Im sechsten Teil dieser Reihe möchte ich auf die noch jüngeren Entwicklungen eingehen, ins Besondere auf die Auswirkungen der Hormone und die Namensänderung, aber auch darauf, wie sich allgemein mein Denken über Transsexualität verändert hat. Gerade das letzte Jahr hat mich sehr geprägt.

Alina

Vom Telefonieren

Wer meinen Blog schon länger liest, wird sich vielleicht noch daran erinnern, dass ich vor einigen Jahren einen “Adventskalender” hatte – jeden Tag ein Blogpost. Ich möchte das auch dieses Jahr wieder probieren. Es ist zwar gerade schon 23:44 und es wird eng, diesen Blogpost wirklich noch heute fertig zu bekommen, aber ich gebe mir Mühe 😀

Einleiten will ich diesen Advent mit einem Artikel, der mir schon seit Monaten auf dem Herzen liegt, weil es etwas ist, dass mich selbst betroffen hat und wenig Beachtung findet.

In der Zeit meiner schlimmen Depression ist mir etwas besonders bewusst geworden, was mir auch vorher schon bekannt war, aber sich ohne die Depression überwinden ließ und durch sie zu einem ernsten Problem für mich wurde: Ich mag nicht mit fremden Leuten telefonieren, wenn ich ein Anliegen habe. Wenn ich angerufen werde oder es um ein Gespräch mit mir vertrauten Menschen geht, ist das kein Problem, aber wenn nicht, ist telefonieren für mich eine Überwindung. An guten Tagen brauche ich nur einige Augenblicke um mich zu sammeln und auf den grünen Hörer zu drücken, an weniger guten Tagen habe ich die Nummer gewählt und brauche mehrere Minuten, bis ich wirklich anrufe, an schlechten Tagen ist mir telefonieren schlicht nicht möglich.

Das ist keine Sache, die sich mit einem “Reiß dich doch mal zusammen, da beißt schon niemand” beheben lässt – das Telefonieren ist einfach anstrengend für mich. Anstrengender als so mancher 10 Stunden Uni Tag. Selbst das geistig drauf Einstellen ist manchmal derart anstrengend, dass ich den Versuch abbrechen muss und den Rest des Tages für nichts anderes mehr Energie habe.

Ich weiß, dass das für Menschen, die so etwas nie erlebt haben, schwer vorstellbar ist. Ich weiß, dass es danach klingt, als suche ich nur ausreden, weil ich faul sei. Aber die allermeisten Telefonate sitzen mir dann ewig im Nacken und es belastet mich, sie nicht hinter mir zu haben. Ich will an solchen Tagen nichts lieber, als das Telefonat hinter mich zu bringen, aber mit der Depression war das oft einfach unmöglich, so sehr ich es auch wollte.

In dieser Zeit ist mir eine Sache bewusst geworden: Ich bin damit bei weitem nicht allein. Es gibt viele Menschen, denen es aus verschiedensten Gründen unangenehm ist, zu telefonieren. Das sind nicht nur Menschen mit Depressionen, ich weiß auch von einigen neurologisch-typischen Menschen ohne psychische Leiden, die trotzdem eine Abneigung gegen das Telefonieren haben. Und trotzdem, obwohl es mir ziemlich weit verbreitet scheint, gibt es dort selten Alternativen. Ärzte sind fast ausschließlich telefonisch erreichbar. Kurioserweise sogar psychiatrische Einrichtungen, die mit diesem Problem eigentlich vertraut sein sollten. Ich weiß nicht wie oft ich in der ersten Jahreshälfte E-Mails geschrieben habe, dort möglichst detailliert mein Anliegen geschildert habe und nur die Antwort “bitte rufen Sie uns an!” bekam. Oft hab ich dann nicht angerufen. Es ging in der Zeit nicht.

Ich bin über diese starke Ausprägung hinweg. Telefonieren ist etwas, was ich immer noch ungern tu, aber ich bekomme es hin, wenn es nötig ist. Aber ich weiß, dass das nicht allen so geht. Für viele Menschen ist das ein unüberwindbares Hindernis und ich finde es mehr als Schade, dass E-Mails sich noch immer nicht als Ersatzmedium etabliert haben. Ja, natürlich, die Antworten sind damit in aller Regel etwas zeitverzögert, aber oft werden Anfragen per Post bearbeitet, aber nicht per Mail. Damit ist das Argument eigentlich hinfällig.

Ich hab auf dieses Thema wenig Einfluss. Ich kann nicht dafür sorgen, dass plötzlich die ganze Welt Mails statt Anrufe akzeptiert. Aber ich hoffe schon, dass dies vielleicht ein, zwei Menschen sehen, die sich noch nie darüber Kopf gemacht haben, wie anstrengend für manch anderen Menschen telefonieren ist, und dafür vielleicht etwas mehr Verständnis haben. Mir hätte das einiges an Problemen erspart.

Alina